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KHAM, DAS UNBEKANNTE OST-TIBET

VON ANTON EDER

 
Starte Diaschau
(C) Anton Eder Khampa-Frau beim Melken (C) Anton Eder (C) Anton Eder Nomadenzelte in Kham (C) Anton Eder
 

Furche um Furche zog der groß gewachsene Khampa-Bauer mit seinem, von zwei Yaks gezogenen Pflug über das am Berghang gelegene Feld. Die vor kurzem mit Sicheln abgeerntete Hochlandgerste lag zum Trocknen ausgebreitet auf den Flachdächern der mächtigen Steinhäuser, die festungsartig aus der idyllischen Landschaft emporragen. Edelweiß und Enzian zierten den Wegrand.

Noch vor kurzem waren wir in der auf 600 m Höhe gelegenen Hauptstadt der chinesischen Provinz Sichuan, in Chengdu. Es ist noch gar nicht so lange her, dass wir die Pandabären in Wolong besuchten und den Anblick des mächtigen 'Vier Mädchen Berg’ genossen haben.

Bei Bamei wurden wir dann erstmals mit der tibetanischen Kultur konfrontiert. Vor drei Tagen schlenderten wir noch durch die tibetisch geprägte Altstadt von Kandze und ergötzten uns am Anblick mächtiger Klöster und Tempel und dem dort hoch aufragenden Berg Kawulungring. Es war am darauf folgenden Tag, als wir durch die Schluchten des Yalong-Flusses in die auf 4000 m gelegene Stadt Litang gelangten. Die schöne Landschaft vermittelte dort das Gefühl von absoluter Harmonie.

Wir befanden uns dort bereits im Land der Khampa, jener stolzen, hoch gewachsenen und schön geschmückten Männer, die es in alter Zeit immer wieder verstanden hatten, sowohl den chinesischen Kaiserhof wie auch die zentraltibetanischen Herrscher von sich fern zu halten.

Die mächten dreigeschossigen, aus Steinen errichteten Häuser, die im unteren Bereich keine Fenster aufweisen, wirkten abweisend. Die grüne, in den letzten Tagen vertraut gewordene Landschaft hatte sich dort plötzlich gewandelt. Die umliegenden Berggipfel erreichten bereits eine durchschnittliche Höhe von 5000 m. Aber was ist das schon, wenn man sich selbst auf 3500 befindet. Am Rand des landwirtschaftlich genützten Talboden ziehen sich die Wälder bis fast auf 4000 m hinauf. Die Kahlheit der darüber gelegenen Bergflanken scheint die harten Lebensbedingungen der lokalen tibetanischen Bevölkerung wider zu geben.

Die Khampas sind Ausländern gegenüber sehr freundlich eingestellt, so dass die Kontaktaufnahme unproblematisch ist. So war es für uns auch keine Schwierigkeit, in eines der Häuser hinein zu gehen, um es von innen zu inspizieren. Zufälligerweise trafen wir dort auf fünf Mönche aus dem nahen Kloster Dekyi Gonpa (chin. Bönpo Si), das der Kagyüpa-Schule angehört. Beim Hausaltar, der im ersten Stock in einem eigenen Raum untergracht war, vollzogen sie eine dreitägige Zeremonie, um ein bestehendes Unglück von den Hausbewohnern abzuwenden.

Die Familie des Hausbesitzers verweilte unterdessen neben dem gusseisernen Herd in der drei Meter hohen Wohnküche. Ein großer Wasserkessel, der schön beschnitzte Wandverbau und die mit Matratzen ausgestattete Sitzecke vermittelten Gemütlichkeit.

Das Erdgeschoß der meisten tibetanischen Häuser wird zur Aufbewahrung der Feldgeräte und als Stall genützt, während man im dritten, obersten Stockwerk die Feldfrüchte trocknet und nach dem Ausdreschen auch lagert. Richtung Süden fahrend gelangten wir schließlich in die Stadt Daocheng. Über einen weiteren Pass in das anfänglich breite Tal hinab fahrend, erblickten wir abermals schwarze Yakhaarzelte, die wie Spinnengewebe aussehend mit schwarzen Seilen am Boden verankert waren. Weit über die Bergflanke verstreut versuchten an die 120 zottelige Yaks, sich am spärlichen Grasbewuchs satt zu fressen. Während der kargen Wintermonate werden sie gut 30 % ihres Körpergewichts verlieren.

Die aus der Yakmilch gewonnenen Butter tauschen die Nomaden gegen das für sie lebenswichtige Gerstenmehl und gegen Tee, der in früheren Jahren aus der Region Yaan und aus Süd-Yunnan kommend auf den Handelswegen (der so genannten 'Tee- und Pferdestraße’) in das Hochland gelangte. Heute ist es vor allem das Fleisch der Yaks, das bei der Han-chinesischen Tieflandbevölkerung großen Absatz findet und den Nomaden Luxusgüter wie Solarzellen zur Stromerzeugung, laut aus den Zelten dröhnende Stereoanlagen und Motorräder beschert.

Als der V. Dalai Lama Ngawang Losang Gyatsho, das religiöse Oberhaupt der Gelugpa Schule (Gelbmützen), im 17. Jh. die drei heiligen Berge (Ringsum Gompa) des damaligen Königreichs Muli besuchte und diese als Wohnsitze dreier Bodhisattvas - nämlich für Chenresi (Avalokiteshvara), Yangmeiyung (Manjusri) und Chanadorje (Vajrapani) - erklärte, besucht er im nahe gelegenen Chitu auch das Kloster Gongaling, dem er eine wertvolle Statue des Maitreya schenkte.

Als wir am späten Nachmittag den Tempelraum dieses Klosters betraten, trafen wir auf die versammelten Mönche, die in ihre dicken Mäntel gehüllt auf den 20 cm hohen Holzabsätzen saßen. Im monotonen Gleichklang murmelten sie fast teilnahmslos ihre Mantras, während einige von ihnen die bunt bemalten Stiltrommeln (Nga) schlugen. Sie erzeugten einen Rhythmus, der die Betenden in Trance versetzte. In vorderster Reihe hatten auf erhöhten Podesten der Klostervorstand und neben ihm zwei junge Novizen ihre Plätze eingenommen. Sie gelten als Wiedergeburt (Re-Inkarnation) vorangegangener Mönche und werden deshalb als 'lebende Buddhas’ verehrt. Auf ihren Köpfen ruhten fünfteilige, mit Silberreliefs dekorierte Bodhisattva-Kronen (Tathagata-Kronen).

Unsere Bitte, Fotos machen zu dürfen, wurde von den Mönchen mit erfreuter Zustimmung beantwortet. Zum Glück ist diese Region vom Massentourismus noch unberührt geblieben, so dass der verzweifelte Versuch der Besucher dieses besondere Ereignis bildlich festzuhalten, noch nicht als störend angesehen wird.

Während wir voller Staunen vor der in gelben Farben gehaltenen Darstellung des Tsongkhapa, dem Gründer der Gelugpa-Schule standen, änderte sich plötzlich der Rhythmus. Glocken (Ghantas) und Zimbel kamen nun zum Einsatz. Zwei Mönche brachten ihre Teleskop-Trompeten (Dung Cheng) zum Dröhnen. Es schien, als ob die Anwesenden nun eine andere Bewusstseinsphase erreicht hätten. Es war jedoch nur ein kurzes Intermezzo, das bald wieder von der Gleichmäßigkeit des Gebets abgelöst wurde.

Bis zum Jahr 2000 endete die Straße in der nur wenige Kilometer südlich von Chitu gelegenen Ortschaft Riwa, so dass die Pilger, die zu den drei heiligen Bergen wollten, ihren Weg zu Fuß oder auf dem Rücken eines Pferdes fortsetzen mussten. Heute kann man sich auf der neu errichteten Piste um weitere 32 km den Bergen nähern, was in den ersten Jahren vor allem chinesische 'off road freaks’ dazu veranlasst hatte, diese Region als das Ziel ihrer Abenteuerlust zu wählen.

Obwohl wir uns schon seit Tagen auf diesen besonderen Moment gefreut hatten, kam er dann doch ziemlich überraschend. Um eine letzte Kurve herumfahrend ragte ganz plötzlich der 6036 m hohe, Gletscher umhüllte Chenresi wie ein mächtiger Turm vor uns empor. Lediglich ein um 300 m tiefer gelegenes Tal trennte uns noch vom ca. 2 km vor uns aufragenden Eisriesen, der aufgrund der klaren Luft zum Greifen nahe schien. Kraftvoll leuchtete uns das von der späten Nachmittagssonne beschienene Gletschereis entgegen. Obwohl wir uns selbst bereits auf ca. 4100 m befanden, war der Anblick des mächtigen Berges ein absolut beeindruckendes Erlebnis.

Nachdem wir in einem tibetanischen Haus in Yading - das zu einem Gästehaus umgestaltet wurde - eine gemütliche Nacht verbracht hatten, wanderten wir am darauf folgenden Tag in das Luorong-Tal hinein, um die atemberaubende Bergkulisse mit all unseren Sinnen aufzunehmen. Unterwegs trafen wir - so wie schon am vorangegangen Tag - auf bis zu 10 m hohe Steinpyramiden, die aus aufgeschichteten Mani-Steinen bestanden. Der buddhistische Tradition folgend umschritten wir diese im Uhrzeigersinn.

Nach einer Stunde erreichten wir das während der Kulturrevolution zerstörte Chung Gu Kloster, das von drei Mönchen langsam wieder aufgebaut wird. Vom Kloster in das Seitental hineingehend erreichten wir nach 40 Minuten einen tiefblauen Gletschersee, in dem sich der breite Gipfel des Chenresi spiegelte. Zu beiden Seiten erstreckte sich ein um diese Jahreszeit gelb leuchtender Lärchenwald, der diese phantastische Szenerie perfektionierte. Ich war wie von einem Bann belegt, als ich diese märchenhafte Landschaft erblickte. Wir hatten Zeit, setzten uns in die Sonne an den See und genossen.

Wieder zum Kloster zurück gehend und weiter dem wildromantischen Luorong-Fluss folgend hatten wir auf den nächsten zwei Kilometern einen grandiosen Blick auf den 5958 m hohen, im Nordosten gelegenen Chanadorje, der gleichfalls von gelben Lärchenwäldern umgeben war. Da der Weg inzwischen gut ausgebaut ist, konnte man beim Wandern gedankenverloren den Kopf anheben, um die Atmosphäre dieser Landschaft in sich aufzusaugen.

Am frühen Nachmittag erreichten wir schließlich das 8,5 km vom Eingang entfernte, auf 4200 m gelegene Ende des Tales, wo die Einheimischen für die Besucher ein Camp errichtet hatten. Mittelgroße Zelte, in denen jeweils 10 Feldbetten Platz finden, boten die Möglichkeit zur Nächtigung. Das Camp steht an jener Stelle, von wo aus man alle drei Berge auf einmal sehen könnte. Aber es hatte sich im Laufe des Tages bewölkt, so dass uns dieses Erlebnis (vorerst) versagt blieb.

Als sich am nächsten Morgen gegen 7.00 Uhr erhellte, fiel es uns trotz der niedrigen Temperatur, die knapp über dem Gefrierpunkt lag, nicht schwer, das warme Lager zu verlassen. Die Wolken hatten sich in der Nacht aufgelöst. Die unzählbaren Sterne, die vor kurzem noch zum Greifen nahe schienen, verblassten langsam. Es war bereits hell, als die ersten Sonnenstrahlen den vom Gletscher bedeckten Berggipfel des 5958 m hohen Yangmeiyung, den Wohnsitz des Bodhisattva Manusri, trafen und diesen wie das Ende eines Streichholzes um Glühen brachten. Für die seit geraumer Zeit wartenden Naturliebhaber ging es plötzlich viel zu schnell. Unaufhaltsam drehte Mutter Erde die Bergflanke der Sonne entgegen, so dass diese innerhalb kürzester Zeit in den verschiedensten Rottönen leuchtete. Der vor kurzem noch klare Himmel entwickelte plötzlich Wolkenfetzen, die sich von der Morgensonne angestrahlt, rosa färbten. Für viele von uns war dies der Höhepunkte unserer Reise durch Ost-Tibet, die uns aber in den darauf folgenden 7 Tagen noch viele weitere Attraktionen gebote hat. Über das Seenplateau fuhren wir nach Litang und besuchten dort die Altstadt sowie das große Gelugpa-Kloster. Der 7756 m hohe Gonga-Shan mit dem Hailuogou-Gletscher, der 71 m hohe sitzende Buddha in Leshan, der den Buddhisten heilige Berg Emei-Shan und verschiedene Tempel entlang des Weges geleiteten uns wieder ins Tiefland, wo diese Reise in Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan, endete.

 
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