Das größte Aufsehen in dieser Reisesaison erregt definitiv Saudi-Arabien. Die jüngste Destination auf den internationalen Reisemärkten bietet einiges an Unerwartetem. Die Teilnehmer der ersten Reisegruppe von Kneissl Touristik sind begeistert von den vielen Eindrücken, und etliche davon werden bleibend sein.
Wir alle hätten uns nicht vorstellen können, dass das Land so reich ist an ganz unterschiedlichen landschaftlichen Schönheiten, gut konservierten prähistorischen Stätten und fachmännisch restaurierten historischen Bauwerken. Wer gedacht hatte, das Land bestehe nur aus Wüste, Wolkenkratzern und reichen, dekorativ gekleideten konservativen Scheichs, wir alle also, wurden eines Besseren belehrt.
Wir trafen auf uralte Spuren menschlichen Strebens, auf neolithische Felsbilder und Steinkreise, auf bronzezeitliche Siedlungen und biblische Orte; seit dem Paläolithikum war die arabische Halbinsel bewohnt, seit Jahrtausenden hinterlassen Menschen die Zeugnisse ihrer Kultur, ihrer Erfindungsgabe und ihres Sinns für Schönheit.
Die Bewohner, Männer wie Frauen, waren keineswegs abweisend und unzugänglich, sondern aufgeschlossen, hilfsbereit und interessiert an europäischer Kultur. Als westliche Ausländer waren wir ziemlich exotisch, wurden immer wieder fotografiert und zieren nun die Tiktok- und Instagram-Auftritte der Einheimischen. Was wir nicht alles erklären mussten über Österreich! Dabei hatten wir doch selbst so viele Fragen, die wir stellen wollten. Bei allen kulturellen Unterschieden – wir respektieren einander und versuchen einander zu verstehen.
Bis vor wenigen Jahren gab es keine Musikveranstaltungen, keine Kinos und sowieso keine Glücksspiele, denn die hat Gott verboten, wie er durch den Propheten Muhammad ausrichten ließ. Das Land hat sich abgekapselt, vor allem vom Westen. Ausländer wurden nur ins Land gelassen, wenn sie Fachkräfte waren, die man mit zeitlich befristeten Arbeitsverträgen versah, oder wenn sie Muslime waren, die sich auf eine Pilgerfahrt nach Mekka und Medina begaben. Seit 2019 werden nun Touristenvisa erteilt, dann war Covid. Die touristische Entwicklung steht noch ganz an den Anfängen. Vereinzelt trafen wir auf individuell Reisende; nur in al-Ula begegneten wir einer Reisegruppe, einer einzigen in zehn Tagen im Lande.
Wir erlebten selbstbewusste, handlungsmächtige Frauen, die das Stereotyp der armen, unterdrückten Araberin Lügen strafen. Schon im Flugzeug sitzt neben mir eine wohlgenährte Mama mit erwachsenem Sohn, den sie herumkommandiert. Die Mutter, verhüllt von einer schwarzen Abaya, voll verschleiert mit Niqab, spricht fließend Englisch, sie unterhält sich angeregt mit mir, der Sohn versteht kein Wort, interessiert ihn auch nicht.
Bekleidungsvorschriften gibt es nicht, weder für Ausländer noch für Inländer, wenngleich dezente Kleidung erwünscht ist; schulter- und bauchnabelfrei und in kurzen Hosen läuft hier niemand herum. Die meisten Frauen, aber keineswegs alle, tragen zumindest ein Kopftuch; das ist nicht vom Staat verordnet, wird aber im Koran nahegelegt und gemäß den Traditionen befolgt, ohne dass ein Zwang dazu vorläge.
Von Riad fahren wir Richtung Nordwesten. Sechzehnspurige Stadtautobahnen sind wir nun schon gewohnt, Fußgänger sieht man selten, alle Welt fährt mit dem Auto, die Staus werden hingenommen. Erleichterung verschafft die U-Bahn in Riad, 2024 eröffnet. Die Überlandstraßen sind vielspurige Autobahnen, die schnurgerade durch die Wüste stechen.
In Uschaiqir sehen wir ein idyllisches, kaum noch bewohntes, teils restauriertes Dorf mit Lehmhäusern zwischen Palmengärten, in Buraida besuchen wir den angeblich weltgrößten Kamelmarkt, in Sakaka eine Festung, in Dunat al-Jandal die möglicherweise älteste noch bestehende Moschee aus dem siebenten Jahrhundert, aus der Zeit des Kalif Umar.
Am nächsten Tag, von Tabuk aus, machen wir einen Ausflug in die Bergwelt im äußersten Nordwesten. Kaum nähern wir uns der futuristischen Planregion Neom fallen uns die Augen aus den Köpfen. Eine 26.500 km2 Baustelle in der Wüste – sprachlos
stehen wir vor Armadas von Baggern, Kranen und Lastwagen; Kilometer von Wasserleitungsrohren aus Edelstahl warten auf ihre Verlegung, eine eigene Zementfabrik wurde in den Sand gestellt. Dutzende von Containersiedlungen und gesichtslosen Wohnblocks für die Firmenangestellten wurden im Eiltempo hochgezogen, ausgestattet mit allen infrastrukturellen Einrichtungen und Bequemlichkeiten, die im Lande Standard sind, auch mit Schulen, Kindergärten, Spielplätzen. Autobus-Flotten bringen das Personal zur Arbeit.
Alles riesig, alles vielfach – alles ist hier überdimensioniert, die Landschaften, so weit wie sonst nirgendwo, die Kalksteinfelsen, die Projekte, die Höhenflüge des Ministerpräsidenten und Kronprinzen Muhammad bin Salman, seine Vision 2030. Nichts ist hier durchschnittlich. Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus und übersehen fast die Granitberge und Felsbilder, wegen denen wir eigentlich angereist sind, die bizarren Gesteinsformationen mit Namen wie Schiffswrack und goldenes Kalb – Moses war seinerzeit in der Gegend, davon sind die Einheimischen fest überzeugt.
Es ist die kühlste Region des Landes; ein Teilprojekt von Neom ist die Wintererlebniswelt Trojena, zwischen den Berggipfeln werden gerade die Fundamente für die Hotelresorts und Abenteuerspielplätze gelegt, 2026 sollen die Anlagen eröffnet und 2029 die asiatischen Winterspiele ausgerichtet werden. Im Jänner ist es in 1.500 Metern Seehöhe ziemlich kalt, für den Nachmittag ist Schnee angekündigt, gerade noch vor der Straßensperre kommen wir durch und glauben nun, was die Verantwortlichen behaupten, nämlich dass im Schi-Dorf nicht nur das Weiß aus der Kanone zum Einsatz kommen soll.
Nach dem Blick in die Zukunft in Neom machen wir einen Sprung in die Vergangenheit und lassen uns – zurück in der Provinzhauptstadt Tabuk – von der Betriebsanlage und dem Bahnhof der Hidschazbahn bezaubern, die von 1908 bis 1924 Damaskus mit Medina verband. Die alte, auf Hochglanz polierte Dampflock entzückt uns, und wir erinnern uns an die Anschläge, die Lawrence von Arabien im Film von David Lean (1962) anzettelte, um für seine Beduinenfreunde die Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich zu erkämpfen.
Von ungewöhnlicher Schönheit ist das Wadi Disah, mit seinen roten Sandsteinfelsen, Palmen und kleinen Bauernhöfen mit Zitrus- und Mangobäumen. Die Landschaft ist offensichtlich nicht nur für Menschen des 21. Jahrhunderts überwältigend, die Vorzüge des Tals schätzten die durchziehenden Bevölkerungen schon in der Jungsteinzeit und in der Antike, wie ihre kulturellen Hinterlassenschaften beweisen, Felsbilder, Inschriften, Gräber.
In Medina, der zweitheiligsten Stadt des Islam stehen wir ergriffen auf dem großen Platz vor der Prophetenmoschee, dem zweitheiligsten und zweitgrößten Gotteshaus der Muslime, das sie besonders lieben; es steht an der Stelle des Wohnhauses von Religionsgründer Muhammad und beherbergt sein Grab unter einer grünen Kuppel. Inmitten der nicht abreißenden Pilgerströme, der vielen betenden Menschen, ihrer offensichtlichen Frömmigkeit, inmitten der vielen Kranken und Gebrechlichen, die sich der beschwerlichen Reise unterziehen, können sich einige von uns einer Gänsehaut nicht erwehren. Tief empfundener Glaube macht betroffen, auch so manche, die selbst nicht religiös sind.
Von Medina nehmen wir den Pilgerzug nach Dschidda, einen ultramodernen Hochgeschwindigkeitszug, gemeinsam mit vielen weißgekleideten Menschen, die buchstäblich aus aller Herren Länder anreisen; es gibt wenige Orte auf der Welt, die eine vergleichbare Internationalität ausstrahlen wie die Pilgerstätten Saudi-Arabiens.
In der Hafenstadt Dschidda bewundern wir den Bahnhof von Norman Foster und Partnern, eine Konstruktion aus Stahl, Linien und Licht, deren Beleuchtungskonzept noch die Wirkung der weißgewandeten Pilger verstärkt. Wir freuen uns, dass wir die Altstadt, die hohen Bürgerwohnhäuser mit den holzgeschnitzten und gedrechselten Erkern, Fenstergittern und Balkonverkleidungen noch vor ihrer Gentrifizierung sehen können. Zum Abschluss unserer Reise erleben wir an der Corniche den letzten Sonnenuntergang beim welthöchsten Springbrunnen.
Saudi-Arabien hat uns vom ersten bis zum letzten Tag überrascht. Wir hatten es nicht so vielfältig erwartet. Wir hätten nicht ganz so viele Superlative benötigt, um beeindruckt zu sein. Wir hatten es uns sehr viel restriktiver vorgestellt. Wir haben uns immer und überall willkommen gefühlt.