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WANDERN IN GEORGIEN

VON DR. HANS STEYRER

 
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Wir landen in Tbilissi, der Hauptstadt Geor­giens, wo mehr als ein Viertel aller 4 Millionen Einwohner leben. Die Stadt ist der ­Motor des ganzen Landes, hier sind Politik und Kunst gleichermaßen zu Hause, hier ist das ganze Land in den Museen und in den ­Geschichten und Mythen zu finden. Man spürt die bewegte Geschichte des Landes, das bereits vor mehr als 3200 Jahren von den griechischen Helden Herakles und Theseus besucht wurde, um am Hof des Königs Aietes in Kolchis (das heutige Kutaissi) das goldene Vlies zu rauben. Jason und seine Argonauten waren hier, der römische Feldherr Pompeius war hier, Perser, Araber, türkische Seldschuken, Mongolen und Russen waren hier. Mit den Russen entdecken auch die Europäer Georgien wieder. Bertha von Suttner lebte viele Jahre in Georgien, schrieb Unterhaltungsromane und begann die Übersetzung des georgischen Nationalepos „Der Recke im Tigerfell“ ins Deutsche. Werner von Siemens legte hier den Grundstein seines späteren Imperiums, indem er im Auftrag des russischen Zaren Telegrafenleitungen verlegte, unter anderem nach Teheran. Und jetzt sind wir hier gelandet, natürlich in friedlicher Absicht und voller Neugierde, was uns diese Stadt und ihr Land erzählen werden.

Wechselvolle Geschichte
Wie die Stadt vor ihrer völligen Zerstörung 1795 durch die Perser unter Schah Aga ­Mohammed Khan, nach der 22.000 Menschen in Sklaverei verschleppt wurden, ausgesehen haben mag, wissen wir nur aus den Berichten des französischen Reisenden Chardin. Nur sechs Jahre danach begann eine neue Zeit mit dem Anschluss an Russland, das sich der Bedeutung der Stadt als südlichster Vorposten zu Persien und zur Türkei bewusst war – beides spüren wir heute noch, die jahrhundertelange Geschichte als Handelszentrum an den großen Karawanenrouten und die spätere Rolle als strategisch wichtige Stadt im russischen Reich.

Dass die Gründung der Stadt auf einen Jagd­unfall im 5. Jahrhundert zurückgeht, ist eine bekannte Legende: der Falke des Königs ­erlegte einen Fasan, der in eine heiße Quelle stürzte und bereits gar war, als der König an der Absturzstelle ankam – zweifellos ein ­guter Platz für die Gründung einer Hauptstadt!
Diese und viele andere Geschichten werden wir an den Abenden hören, wenn wir uns der Gastfreundschaft der Georgier hingeben, für die jeder Gast „ein Geschenk Gottes“ ist. Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Georgier ist herzerwärmend, hat fast schon therapeutische Wirkung, man fühlt sich wohl und aufgehoben. Georgien lässt sich gar nicht bereisen, ohne mit Fremden mit einem Chacha (das Nationalgetränk aus Traubentrester) anzustoßen und als Freunde ausein­anderzugehen.

Kulinarische Genüsse
Kulinarisch ist Georgien ein Füllhorn an Produkten und Einflüssen unterschiedlicher Kulturen und Rezepten. Wenn wir die vielgerühmte Küche dieses Landes genießen, werden wir das nicht nur in den ausgezeichneten Restaurants erleben, sondern auch in einfachen Gasthäusern mit lokalen Köstlichkeiten am Fuße des Kaukasus. Fast das ganze Jahr hindurch können frisches Obst, Gemüse, Salate und vor allem Kräuter verwenden werden - wenn auch nur als Beilage zu Fleisch, von meist freilaufenden Schweinen, Rindern und Schafen, im Gebirge auch von Hirschen, Bergziegen, Kaninchen und Fasanen. Serviert werden auch Fische aus dem Schwarzen Meer oder aus den zahllosen Flüssen im Kaukasus (die wir bei unseren Wanderungen immer wieder queren müssen).

Unterwegs im Kaukasus
Der Kaukasus - ein über 1000 km langes Hochgebirge mit Gipfeln über 5000 m - ist Teil des alpidischen Gebirges, entstanden durch die nordwärts gerichtete Bewegung der Arabischen Kontinentalplatte gegen ­Eurasien. Für Geologen verläuft hier die Grenze zwischen Eurasien und Gondwana, für Geographen die Grenze zwischen Europa im Norden und ­Asien im Süden. Diese Position im Grenzbereich zwischen zwei Kontinentalplatten wird uns bei unseren Wanderungen auf Schritt und Tritt bewusst werden: Gesteine aus einem ehemaligen Meer wechseln mit Graniten aus vielen Kilometern Tiefe, bilden die vielfältigsten Landschaften, die majestätischsten Gipfel, die reißendsten Flüsse, die zahllosen Wasserfälle, erschlossen durch uralte Wege der Hirten und Schmuggler.
Auf unserem Weg in die Berge queren wir Kartli, das Kernland Georgiens, eine Hochebene, von sanften Tälern durchzogen, die vom Großen Kaukasus im Norden und vom Kleinen Kaukasus im Süden begrenzt wird. Hier verlief einst die berühmte Nordroute der Seidenstraße, heute wird in Kartli Obst angebaut, im Frühling liegt ein Schleier blühender Apfel-, Birnen-, Kirsch- und Marillenbäume über dem Land, dem die zahlreichen historischen Bauten einen unvergleichlichen Reiz verleihen.

Swanetien
Ganz anders sind die Dörfer und vor allem die Menschen im Kaukasus, die wir in Swanetien besuchen werden. Die Bewohner, die Swanen, sind ein stolzes Bergvolk mit Traditionen, die sich in der Abgeschiedenheit der Täler über viele Jahrhunderte erhalten haben. Eine uralte Legende berichtet von entkommenen Sklaven, die sich hier niedergelassen haben und den Ort „Sawane“ – Hort der Sonne – nannten. Die Swanen brauchen viel Mut und Kraft, um hier zu leben, sie sind von dieser Gebirgslandschaft, der ursprünglichen, oft harten Natur und ihrer Geschichte geprägt, die Zeit dort und mit ihnen wird uns ebenso prägen.

Dr. Hans Steyrer

 
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